Finanzkrise                                                                                                     15. 11. 11

 

In der Diskussion ist viel von gierigen Bankern und Managern die Rede. Sicher, es gibt Gier, aber die Hauptursachen sind m. E. verschiedene Einzelfaktoren , die sich langsam entwickelt haben und auch „Systemfehler“:

 

1 durch Jahre ungestörten Wirtschaftswachstums und die Progression der  Zinseszinseinnahmen haben sich bei einer kleinen Gruppe von Menschen unvorstellbare Reichtümer angesammelt, die nach Rendite suchen  Ungeheure Summen wurden auch durch die zunehmende Privatisierung der Altersversorgung angesammelt (Nach OECD Berechnung haben die Pensionsfonds durch die Wirtschaftskrise 23% ihres Vermögens, das sind 5,4 Billionen $ verloren)

 

2 Durch Milton Friedmann, Thatcher, Reagan u.a. angestoßen setzte eine jahrelange steuerliche Umverteilung ein, welche den obigen Trend verstärkte

 

3 Durch technischen Fortschritt und zunehmende Deregulierung wurde das globale „Casino“ ungeheuer ausgeweitet und beschleunigt

 

4 Dadurch wurden die Renditeerwartungen von 4-5% in den 70er Jahren auf 15 – 20% erhöht.

 

5 Dies übte Druck auf  Unternehmen und Banken aus, verstärkt durch die Rating – Agenturen

 

6 Die Erkenntnis, dass der Kleinanleger mit der Verwaltung seiner Aktien überfordert ist führte zur Verbreitung von Fonds. Dies wiederum führte zu einer Anonymisierung . (Der Kleinanleger fühlte sich mit dem Unternehmen, dessen Aktie er als langfristige „Sparkasse“ besaß, verbunden)

 

7 Diese ganzen Entwicklungen verliefen allmählich,. d. h. für den Einzelnen oft nicht direkt spürbar

 

8 Um die Wirtschaft anzukurbeln wurden in den USA die Zinsen gesenkt . Außerdem gaben die Banken, durch keine Regelungen wie bei uns z. B. Basel II gebremst, Darlehen an immer unsicherere „Häuslebauer“, in der Annahme, das gekaufte oder gebaute Haus würde mit ständig steigendem Wert genügend Sicherheit bieten

 

9 Um die damit verbundenen Risiken auf mehr Schultern zu verteilen, wurden diese Kredite zu Paketen gebündelt und weiter verkauft. Da unsichere Kredite eine hohe Rendite bringen, gingen diese Pakete, z. T. mehrfach „umgeschnürt“ um die ganze Welt. Dadurch wusste am Ende kaum eine Bank oder ein Anleger, welche Risiken er eingeht.

 

10 Als in den USA die Zinsen erhöht wurden, konnten viele die Mieten und Zinsen nicht mehr bezahlen, es kam zu Panikverkäufen und das ganze Drama kam in Gang.

 

11  zum Schluß: Jeder von uns, der seine Bank nicht fragt, „Was macht Ihr eigentlich mit meinem Geld“, sondern ihr  signalisiert, dass er auch lieber 10% statt 5% Zinsen bekommt, ist Teil des Problems!

 

12 Und: Bei jedem  Einkommen aus Geldbesitz, die über der jährlichen Steigerung des BIP liegt (global in der Gegend von 2%/Jahr), muß tendenziell irgend jemand anderen etwas weggenommen oder vorenthalten worden sein.

 

Die bis jetzt vorgeschlagenen und z. T. durchgeführten Maßnahmen sind plausibel, können aber sicher nicht verhindern, dass es irgendwann zur nächsten Krise kommt. Bei durchschnittlichen Wachstumsraten  des Weltfinanzmarktes und des Bruttosozialprodukts wie in den letzten 15 Jahren wäre in 50 Jahren das gesamte Weltsozialprodukt zur Zahlung von Zinsen erforderlich (bei 5% Zinsrate), (Dirk Solte, Weltfinanzsystem am Limit) Das heißt, wenn es nicht gelingt, die exponentielle Steigerung  des zinsbringenden Kapitals nachhaltig einzudämmen, wird es immer wieder und immer schlimmere Krisen geben.

 

Hier das Ganze noch aus einer anderen Sicht:

 

 

1 Die meisten Menschen in der westlichen Welt haben seit Mitte des 20. Jahrhunderts, also in weniger als einer Generation, ihren Wohlstand verfünffacht, ein Vorgang, der einmalig in der Geschichte der Menschheit ist.

 

2 dies war nur möglich, weil 20% der Menschheit 80% der Ressourcen, Rohstoffe, Energie, Wasser usw. beanspruchten

 

3 Es gibt keinen vernünftigen Grund, den restlichen 80% der Menschheit das Streben nach unserem Lebensstandard zu verwehren.

 

4 Diese 20% haben inzwischen eine Ressourcenverbrauch erreicht, der bei einer Übertragung auf die ganze Menschheit 4- 5 „Erden“ erfordern würde.

 

5 Wirtschaft, Wirtschaftswissenschaft und Politik befassen sich aber nicht mit diesem offensichtlichen Problem, sondern intensiv damit, wie eine weitere Steigerung des Wohlstands der privilegierten 20% ermöglicht werden könnte.

 

6 Ein  befürchteter Rückgang des Bruttonationaleinkommens um 4% wird z. B. derzeit in Deutschland als nationale Katastrophe betrachtet. Wenn das eintreten sollte, wären wir wieder beim Einkommen von 2005!  Frage: ging es uns 2005 so schlecht?

 

5 Wäre die derzeitige Krise nicht ein guter Anlaß, nicht über weitere Abwrackprämien u. ä. , sondern über folgende Fragen nachzudenken:

 

A  Wie können wir ein Wirtschaftssystem schaffen, das dauerhaft bei 4%   Schrumpfung, oder zumindest bei „Nullwachstum“ funktioniert?

 

B wie könne  ein Wirtschaftssystem aussehen, das die Folgen eines derartigen Rückgangs einigermaßen gleichmäßig verteilt und nicht wie bisher, nur den unteren Einkommensgruppen anlastet.(die Einkommen der unteren Einkommensgruppen gehen seit den Achzigerjahren zurück oder stagnieren zumindest, während die höchsten Einkommen in der gleichen Zeit sogar mit steigender Geschwindigkeit zunahmen.

 

Hier noch eine Ausarbeitung  zur Krise von Peter Brödner, Mitglied bei attac Karlsruhe

 

Der europäische Kapitalismus in der Krise

Auftakt: Derzeit produziert die Denkindustrie die Auffassung, wir hätten es mit

einer Schuldenkrise zu tun. Aber ist das so? Sind die allenthalben aufgehäuften

exorbitanten Schulden nicht überwiegend Ergebnis der Bankenrettung infolge

der geplatzten Immobilienblasen? Und woher kommen diese Blasen? Sind es

nicht immer wieder neue Bankenkrisen? Alternativ versucht uns die

Denkindustrie einzuflüstern, wir hätten es mit einer Eurokrise zu tun. Aber sind

nicht die spekulativen Angriffe auf einzelne Euro-Staatsanleihen die direkte

Folge massiver wirtschaftlicher Ungleichgewichte im Euroraum, die das schier

unermesslich aufgeblähte Finanzkapital mittels Zins- und Währungswetten

profitabel zu nutzen versucht? Woher konnten aber die Ungleichgewichte

überhaupt entstehen und wie konnte sich das Finanzkapital derart aufblähen?

Warum erlaubt es sich, derart hohe Risiken einzugehen? Fragen über Fragen,

die nur die Unsicherheit darüber ausdrücken, was zu tun ist. Und der

schwachverständigen deutschen Politik fällt nichts anderes ein, als sich der

‚Diktatur des Monetariats‘ zu unterwerfen, die Bedienung von dessen

Schuldtiteln zu garantieren und daraus erwachsende Staatsschulden durch

öffentliches Sparen vermeintlich abzubauen (was durch das jüngste BVG-Urteil

sogar mit Verfassungsrang geadelt wurde), also nichts anderes, als die

gesellschaftliche Magersucht mit Nahrungsentzug zu bekämpfen.

 

(1) Die Krankheit zu heilen, erfordert eine sachgerechte Diagnose. Zum Kern

des Übels vorzudringen, ist wie das Häuten einer Zwiebel: man darf sich nicht

von den oberflächlichen Erscheinungen täuschen lassen und an Symptomen

herumdoktern, sondern muss sich Schale für Schale diagnostizierend zum

ursächlichen Kern vorarbeiten.

 

(2) Die derzeit beobachtete Schuldenkrise ist nur eine Folgeerscheinung. Wer

sie direkt mit Mitteln der Austerität zu bekämpfen sucht, verschärft das Übel in

Gestalt depressiver Entwicklung (wie seinerzeit schon Brüning im Laufe der

ersten großen Weltwirtschaftskrise). Tatsächlich ist die dramatische Anhäufung

von Staatsschulden eine unmittelbare Folge der mit gigantischen Mitteln

ausgestatteten Rettungsschirme für die Banken (die das als kostenlose

Rückversicherung begreifen) in den EU-Kernländern einerseits und der

unausgeglichenen Leistungsbilanzen im Euroraum, hervorgerufen durch die

deutsche Politik des Lohndumping, andererseits. Da den weniger ‚produktiven‘

Ländern im Euroraum die Anpassung der Wechselkurse verwehrt ist, bleibt

ihnen gar nichts übrig, als sich gegenüber dem exportstarken Deutschland zu

verschulden.

 

(3) Dauerhafte Ungleichgewichte (die zudem noch weiter wachsen) rufen, wie

Blut die Haie, Finanzkapital auf den Plan, das die Finanzierungsprobleme der

Importländer durch seine fortgesetzten Anleihespekulationen weiter verschärft.

Statt die Ungleichgewichte wie auch die dadurch induzierte Verschuldung durch

Entwicklung der Produktivkräfte (in den Importländern) und Stärkung der

Binnenmärkte (durch Lohnsteigerung im Exportland Deutschland) abzubauen,

werden sie durch die ‚Sparpolitik‘ vertieft, was nur weitere Spekulationen

anreizt. Staatsschulden lassen sich grundsätzlich nicht durch Sparen abbauen,

ihnen kann man nur durch angemessene Besteuerung und durch Entfaltung

von Produktivkräften ‚entwachsen‘. Schulden werden mit der

vorherrschenden, aber verblendeten Austeritätspolitik nicht beseitigt, vielmehr

wird dadurch nur der wechselseitige Hass der Bürger in den EU-Ländern

geschürt und die Spaltung Europas vorangetrieben.

 

(4) Die Aussichtslosigkeit dieser Politik führt die Ursachenforschung auf die

nächste Zwiebelschale: Ein tiefer liegender Grund für die krisenhafte

Entwicklung in Europa ist der große und weiter wachsende Exportüberschuss,

auf den Deutschland so stolz ist und der doch nur seine Schwäche und

Verblendung anzeigt: Er beruht nämlich kaum auf einem überlegenen

Entwicklungsstand der Produktivkräfte, sondern ganz überwiegend auf einer

dauerhaften Politik des Lohndumpings mit der Folge inzwischen hoffnungslos

unterentwickelter Binnenmärkte im Innern (wie etwa der Vergleich mit den

Nordischen Ländern zeigt) und der Zwangsverschuldung anderer (wie oben

dargelegt). Zudem entfallen damit wesentliche Anreize zur weiteren Entfaltung

der Produktivkräfte durch Innovationen. Würde etwa Deutschland aus dem

Euroraum austreten, würde seine neue Währung auf eine Schlag um 30-40 %

aufgewertet und deutsche Exportunternehmen wären international über Nacht

nicht mehr wettbewerbsfähig.

 

(5) Ideologische Verblendung hindert die politischen Akteure auch daran zu

erkennen, dass die Eurozone von Beginn an eine Fehlkonstruktion war und das

Festhalten an den ursprünglich nach dem ‚System Tietmeyer‘ vereinbarten

‚Grundsätzen‘ (reine Geldpolitik durch die unabhängige EZB,

Schuldenbegrenzungen, keine wechselseitige Haftung für Schulden, keine

Transferleistungen von starken an schwache Länder, keine koordinierte

Wirtschaftspolitik) eingetretene Ungleichgewichte nur verschärfen kann. Weil

Wechselkursanpassungen nicht mehr möglich sind, kann eine Währungsunion

aber ohne eine gemeinsame Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik, ohne koordinierte

Stärkung der Produktivkräfte und ohne Unterstützung der Schwachen durch

die Starken gar nicht funktionieren, wie die derzeitigen Probleme

unmissverständlich anzeigen.

 

(6) Die europäische Wirtschaft leidet darüber hinaus aber noch generell an der

jahrzehntelangen Investitionsschwäche in reale Wertschöpfungsprozesse. Diese

anhaltende Unterinvestition ist darauf zurückzuführen, dass infolge

abgeschwächter Entwicklungspotenziale von Produktivkräften und kaufkräftiger

Nachfrage immer weniger lohnend erscheinende Möglichkeiten profitabler

Kapitalanlage in realen Wertschöpfungsprozessen bestehen. Kapital zieht aber

dahin, wo der Profit lockt. So werden stattdessen profitabler erscheinende,

aber riskante Wettgeschäfte auf den Finanzmärkten gesucht, die keinerlei reale

Werte schaffen. Gehen diese Wetten in großem Stile schief, kann sich das

Finanzkapital aber auf kostenlose Rückversicherung durch die öffentlichen

Hände verlassen. Genesung setzt daher zwingend die Schließung des Kasinos

voraus, indem die Finanzmärkte wieder strikt reguliert werden.

 

(7) Damit ist die Ursachenforschung endlich im Kern der Zwiebel

angekommen: Die tiefste Ursache der ganzen krisenhaften Entwicklung ist in

der ideellen Verblendung des neoliberalen Marktfundamentalismus, genauer: in

den ihm zugrunde liegenden Axiomen der ‚Rationalität der Wirtschaftssubjekte‘

und der ‚Effizienz von Märkten‘ zu suchen. Diese erweisen sich angesichts des

wirklichen Geschehens als vollkommen absurde Konstrukte, leiten aber

gleichwohl das Handeln aller relevanten Akteure an mit der unausweichlichen

Folge, dass sich die Krisenerscheinungen verschärfen. Mehr derselben

Behandlung erzeugt nur mehr desselben Elends. Ohne Aufklärung dieser

Verblendung ist Heilung nicht zu haben.

 

(8) Auf Basis dieser Diagnose ist eine Überwindung der Krise und eine

prosperierende Entwicklung in Europa nur noch möglich, wenn

 

> das Finanzkasino geschlossen wird (Einführung einer Transaktionssteuer,

Einführung eines Trennbankensystems und Verbot von Schattenbanken,

erhöhte Eigenkapitalquoten, Verbot ungedeckter Leerverkäufe und

diverser spekulativer ‚Finanzprodukte‘);

 

> ein europäischer Währungsfond (EWF) eingerichtet wird, der Kredite zu

spezifisch vereinbarten Konditionen vergibt und der sich über gemeinsam

garantierte Anleihen finanziert;

 

> zwischen den wichtigsten Notenbanken der Welt Bandbreiten für

Wechselkurse vereinbart und garantiert werden (Dollar, Euro, Yen,

Renminbi);

 

> ergänzend zur Geldpolitik der EZB die Steuer- und Lohnpolitik der

Euro-Länder koordiniert und eine abgestimmte Entwicklungspolitik

(einschließlich notwendiger Transferleistungen) betrieben wird,

 

> diese Entwicklungspolitik zur Entfaltung wissensgesellschaftlicher

Produktivkräfte auf die Produktion von öffentlichen Gütern (lebenslange

Bildung, Gesundheit, Arbeits- und Alterssicherung) und Gemeingütern

(stoffliche und Wissens-Infrastrukturen) sowie auf den sozialen und

ökologischen Umbau aller Produktionsprozesse ausgerichtet wird

 

 

www.uni-siegen.de/fb5/wirtschaftsinformatik/mitarbeiter/broedner/

 

einige  weitere Informationen zu Begriffen der Finanzwirtschaft finden sich hier